Dringlichkeiten besprechen mit Alexandr Vatagin

Ein glaube ich noch nie erschienenes Foto von Alexandr Vatagin vor seinem alten Arbeitsplatz, den Sunshine Studios in Wien. Fotografiert von Klaus Pichler.

Dringlichkeiten besprechen mit Alexandr Vatagin

Ohne seine nüchterne Arbeit würden wir für jeden Song ein extra Gerät brauchen.

„Im Gegensatz zum Produzieren und Mixen ist das Mastern der nüchternste Prozess.“ Mit diesem diplomatisch ausgedrückten Satz zerstört Alexandr Vatagin alle Hoffnungen, einen Beitrag über die Magie des Masterns zu verfassen. Ein Bisschen spricht er dann doch über seine Arbeit als Master Engineer. Von der Songidee bis zum Erscheinen gliedern sich Master Engineers ganz zum Schluss ein. Sie sind die letzte Instanz, bevor ein Song veröffentlicht wird.

Ganz grob gesagt sorgen Master Engineers für den besten Klang der Songs auf so vielen Geräten wie möglich. Zusätzlich wird mittels sehr unklar definierten Adjektiven vorgegeben, was sich Künstler*in und Produzent*in beim Endprodukt vorstellen.

Aldous Harding klingt sehr dunkel und intim. Das Self-Titled Album von Bon Iver ist ein Paradebeispiel für einen dunklen Klang,“ kann ich aus Alexandr entlocken. Als relativ hell gelten Popsongs wie ‚Favorite Kind of High‘ von Kelly Clarkson oder ‚Don’t Start Now‘ von Dua Lipa.

Helle Klänge sind besonders gut hörbar an Endgeräten, die hohe Klänge gut abspielen können, zum Beispiel Handys oder Standard-Lautsprecher. Um die Tiefe in den Songs zu spüren, benötigt man bessere Audioendgeräte, etwa qualitativ hochwertige Kopfhörer oder ein vollständig ausgebautes High-Fidelity Stereosoundsystem-Studio wie jenes von Alexandr im Vienna City Sound nahe der Wiener Börse.

Der Erfolg ist nicht genug

Hast du in den letzten Tagen völlig gestresst beim Herrichten fürs Fortgehen FM4 auf deinem Handy hören müssen, weil deine Bluetooth-Lautsprecher gerade in diesem Augenblick den Geist aufgegeben haben? Hast du dir während ‚Mojo Risin‘ von Buntspecht gedacht, dass man am Handy ebenso alles sehr ausbalanciert hören kann wie durch deine Vierhundert Euro Kopfhörer? Dann musst du dich bei Alexandr für seine Arbeit bedanken. Neben Buntspecht balancierte er auch Songs für Sakura, Cousins like Shit und Pauls Jets.

Alexandr beobachtet mit scharfen Ohren die österreichische Musiklandschaft. Dabei blickt er fortlaufend über den Tellerrand hinaus in Richtung internationaler Musikindustrie. Er arbeitete schon in den angesagtesten Studios der ganzen Welt. Seine Qualitätsansprüche sind auf einem hohen Niveau. Mit diesem Maß bewertet er auch die heimische Musikszene, die in seinen Augen immer das Potenzial hat, besser zu sein. Lobende Worte hat er für die mittlerweile legendären Acts Kruder und Dorfmeister sowie Soap&Skin übrig, die außerhalb unserer kleinen Grenzen in den relevanten Szenen der ganzen Welt noch immer Hochachtung genießen.

Dringlichkeit?

Nachdem die Luft bezüglich das Sprechen über Alexandrs Arbeit endgültig draußen ist, fangen wir an über unsere Lieblingsmusik zu sprechen. Die Reise in die Untiefen der Klangwelten beginnt mit ‚Out of Time‘ von Blur. Sehr schöner Song. „Dieser Song hat eine Dringlichkeit, das finde ich noch immer frisch,“ kommt wie aus dem Nichts aus dem Mund Alexandrs.

Okay, was meint er mit Dringlichkeit? „Es ist der Kampf gegen die Belanglosigkeit, sowohl auf Klang- als auch auf Textebene. Es klingt eigen und nicht wie eine Massenware.“ Fein. Warum er dazu Dringlichkeit sagt, weiß ich aber immer noch nicht.

Ich zeige Alexandr meine aktuellen Lieblingssongs ‚The Worlds Biggest Paving Slab‘ von English Teacher und ‚Andromeda‘ von Weyes Blood. Leider klickt sich Alex durch ‚Andromeda‘ und sucht nach seiner Dringlichkeit. Vergebens. Okay. Durch das Cover vom Album ‚Titanic Rising‘ erinnert sich Alexandr an die Band Lissom und ihr Musikvideo zu ‚Trouble.‘

Er schwärmt von der Band, mit der er auch zusammengearbeitet hat. Jetzt weiß ich, wie Alexandr sich bei Weyes Blood fühlt. Weil ich würde durch ‚Trouble‘ von Lissom auch ganz einfach durchklicken, weil mich der Song nicht catcht. Ich weiß nur, dass es meine dringende Aufgabe im Augenblick ist, aufs Klo zu gehen.

Dringlichkeit!

Am Häusl schreie ich kurz auf. Beim Reinplatzen durch die Studiotür ordere ich Alex an, ‚Lovegod‘ von Sarah Kinsley durch die Boxen laufen zu lassen. Anstatt durch den Song zu klicken, klickt Alexandr durch die TIDAL-Seite der Künstlerin und sucht nach mehreren Songs von ihr. Ich glaube ich habe seine Dringlichkeit verstanden.

Alexandrs Dringlichkeit ist mein „Des Liad passt afoch“ oder „des pickt“. Die Dringlichkeit beschreibt Songs, die man nicht erklären muss. Die guten Gefühle kommen einfach so ohne irgendein Zutun. Das Zusammenspiel aller Elemente harmoniert so gut miteinander, dass die Songs der Dringlichkeit einfach so in deinen Körper einfahren und für immer in einem drinnen bleiben.

Alexandr hat so wie alle professionellen Musikindustriemenschen eine fancy Internetseite und einen Insta-Account. Bitte sagt ihm nicht, dass ich so ziemlich alle österreichischen Songs in den Monatsradaren von ihm habe. Wenn ihr ihn per E-Mail erreichen möchtet, geht das unter der Adresse vatagin[at]klingt.org.