„Hey, das ist doch auf FIFA, oder?“

Der Versuch, Arsenal gegen Bournemouth nachzuspielen, ist kläglich gescheitert. (btw bin ich auf der Suche nach einem neuen Fernseher)

„Hey, das ist doch auf FIFA, oder?“

Eine kleine Reihe von Songs, die schon einige Wutausbrüche ertragen mussten.

von Martin Jeličić

Alle kennen das Szenario. Irgendeine Hausparty bei irgendeinem Freund in irgendeinem Stadtteil in irgendeiner Stadt. Der Host der Hausparty hatte irgendeinen anderen Freund damit beauftragt, eine Playlist für den Abend zu machen, bei der „alle steil gehen.“ Es läuft Falcos ‚Junge Römer‘, MGMTsElectric Feel‘ und out of nowhere ertönt ‚God Knows‘ von den kultigen Schwedenrockern Mando Diao.

Sofort spüren alle nicht beteiligten Personen, dass im Raum gerade irgendetwas komisches passiert. Das ganze Leben auf diesen Moment wartend murmeln sich alle Dudes einander dieselbe Frage zu: „Hey, das ist doch auf FIFA, oder?“ Das „Oder“ fügen sie nur hinzu, damit sie nicht wie die größten Nerds dastehen. Dabei wissen sie ganz genau, dass FIFA 2006 das absolut beste FIFA aller Zeiten war.

Ja, ja, ‚Club Foot‘ von Kasabian, das Gepfeife in diesem Hipsterlied von den anderen Kultschweden und ‚Eure Mädchen‘ von Kraftklub kennen wir alle. Selbst Leute, die in ihrem Leben FIFA nicht einmal mit ihrem wunderschönen Hinterteil angeschaut haben, wissen darüber Bescheid. Dabei lohnt es sich genauer hinzuschauen, welche Diamanten von Songs auf den mittlerweile 25 FIFAs zu finden sind.

Joy Crookes – ‚Feet Don’t Fail Me Now‘ – FIFA 22

Man kann locker behaupten, den psychedelischen Elektronerds von MGMT ist es scheissegal, dass ihr Heimatbundesstaat Connecticut keinen erfolgreichen Franchise in der amerikanischen Halbamateurliga MLS besitzt. Joy Crookes sitzt derweil mit Freund*innen in einem Pub irgendwo in London-Peckham und postet verwackelt laute Instagram-Stories von einem überproportional großen Flatscreen, worin Reiss Nelson von Arsenal London in der 97. Minute noch den Siegtreffer gegen Bournemouth köpft und deshalb die ganze Bude eskaliert.

Die bekennende Arsenal-Unterstützerin Joy Crookes kreierte mit ‚Feet Don’t Fail Me Now‘ eines der besten Songs, der jemals auf einem FIFA-Soundtrack erschienen ist. Entstanden ist der Song während der Black-Lives-Matter-Proteste im Jahr 2020. Der Text ist aus der Perspektive einer plötzlich politisch erwachten Person geschrieben, die aufgrund der offen rassistischen Ereignisse im Jahr 2020 bei allen Protesten mitläuft sowie alle Tweets retweetet, aber sonst nichts mehr gegen den Rassismus in unserer Gesellschaft unternimmt.

Der Sound ist mindestens genauso gut wie die Message des Songs. Joy Crookes Stimme gleitet über den großartigen Klang ihrer Band und verwandelt damit einen Seitfaltrückzieher ins Kreuzeck, so wie sie es in ihrem 2021 erschienen Album ‚Skin‘ bei jedem Song ohne Mühe tut. Mit Joy Crookes haben die EA-TRAX-Musikredakteur*innen das immergleiche Gameplay und den total verpfuschten Offline-Spielerkarrieremodus bei FIFA 22 um ein Vielfaches erträglicher gemacht.

Sportfreunde Stiller – ‚Independent‘ – FIFA 2003

Wir schreiben das Jahr 2004. Alle spielen in ihren Weihnachtsferien das neue FIFA 2004, nur nicht die Ausländerkinder, sie spielen das ein Jahr alte und wesentlich billigere FIFA 2003, das laut Eltern ja eh das gleiche ist, wie das Neue. Wäre ich damals ein Vater gewesen, hätte ich meinen Kindern gesagt, dass sie das Spiel bekommen haben, weil der Soundtrack viel geiler ist als der von 2004.

Warum steht hier dann etwas von den Sportfreunden Stiller, wenn der Soundtrack von FIFA 2003 so geil gewesen sein soll?  Um es in der Sprache des Hauptbeauftragten für britische Hooliganschauspielerei, Danny Dyer, auszudrücken: „It’s a proper Three-Piece Outfit!“ (Oh mein Gott war das peinlich.) Aber es stimmt, der Song ‚Independent‘ von der Band aus Germering bei München ist für den Anlass perfekt: In Rock verpackte augenzwinkernde Kritik am popkulturellen Establishment in Deutschland für Personen, die nicht in Deutschland leben, oder gar Deutsch verstehen. Und das alles auf einer der kommerziell erfolgreichsten Computerspielreihe der Welt.

Der etwas overdrivige Gesang vom Brugger Peter ist hingerotzt, ganz anders als die echt schnelle Pace des Schlagzeugers Flo Weber. Der Inhalt des Textes ist wegen der narzisstischen Haltung in Zeiten der popkulturellen Konsumgesellschaft überraschend zeitgemäß und könnte inhaltlich locker auch im Jahr 2023 aktuell sein, nur dass man den Fernseher mit einem beliebigen sozialen Medium tauschen müsste. Damit wäre aber der Song wieder veraltet, weil seien wir uns ehrlich, sich darüber aufregen, dass man nicht individuell ist, ist sowas von 2014. Trotzdem hat der Song einen Platz hier verdient, weil er einfach geil ist.

Sleigh Bells – ‚Kids‘ – FIFA 12

Halbzeit im Town Park an einem verregneten Samstagnachmittag im April 2010. Das gesamte Stadion ist noch restfett vom Vorabend, als ein Double von Gigi D’Agostino in der lokalen Disco alle zum Eskalieren brachte. Die Gäste aus dem Nachbarsort führen mit 4:0. Die Gastmannschaft kommt aufs Spielfeld, aber hey, wo sind die Unsrigen?

Aus den Kabinen der Heimmannschaft kommen zwei sichtlich zusammengeschlagene Endzwanziger mit Baseballschlägern raus und spucken ihre letzten Zahnreste in die Taschen ihrer zerrissenen Collegejacken.  Hinter ihnen rennen gefühlt hunderte Kinder schreiend und mit scharfen Fußballschuhen ausgestattet Richtung Gastmannschaft. Das Ziel: Alle aus dem Nachbarsort.

Die Lage ist laut und unübersichtlich. Die zwei Endzwanziger kapern den Soundanschluss des Stadions und richten sich her. Er steckt seine Gitarre an, sie schnappt sich das Mikrofon und weicht einer fliegenden Kühlbox aus. Ausgestattet mit einem ausgezeichnetem Erfolg beim Fair-Play-Seminar von Luis Suarez, treten und beißen die Kinder alles nieder, was ihnen in die Quere kommt. Die Metallstollen sind allesamt mit Hautfetzen der Gegner aus dem Nachbarsort geschmückt. Diese werden wie Trophäen im Pokalkammerl aufgehängt. Auf einmal machts einen großen Knall.

Der eingeweihte Stadionwart lässt Millionen von Rosenblättern aufs Spielfeld rieseln. Die zwei Endzwanziger, auch bekannt als Sleigh Bells, präsentieren ihren neuen Song ‚Kids‘. Mittlerweile haben die Heimfans und sogar der Schiedsrichter es auf die Gäste abgesehen und eine riesige Massenschlägerei entsteht.

Der Chef von EA TRAX, der zufällig auch im Stadion ist, fühlt sich von der Situation so bedroht, dass er den die Sleigh Bells auf der Playlist für FIFA 12 haben möchte. Im selben Moment wird er von der Innenverteidigerin der U12-Mannschaft in die Eier gekickt, weil seine Übergangsjacke die gleiche Farbe hat, wie die Trikots der Gastmannschaft. Verdient. Sowohl die Eierspeise als auch ‚Kids‘ von den Sleigh Bells auf dem Soundtrack von FIFA 12.